Förderbeginn 01.07.2010
Anpassungsprozesse bei Patienten mit Sehkraftverlust im zentralen Gesichtsfeld

Prof. Dr. Mark Greenlee
Universität Regensburg
Fakultät für Psychologie- Institut für Experimentelle Psychologie

Prof. Dr. Stuart Anstis
University of California, San Diego
Department of Psychology

Patienten, die an einer erblichen Form der Makuladystrophie (Morbus Stargardt, Zapfen-Stäbchen-Dystrophie) erkrankt sind, entwickeln in der Regel Skotomata (blinde Areale) im zentralen Gesichtsfeld, die eine Größe von 10 Grad Durchmesser oder mehr erreichen können. Viele dieser Patienten nehmen diesen Gesichtfeldausfall jedoch nicht bewusst wahr. Sie berichten vielmehr von einem Phänomen des Filling-In. Als Filling-In werden in der Wahrnehmungsforschung Prozesse bezeichnet, bei denen das Gehirn versucht, Informationen zu ergänzen, die aufgrund von Netzhautschäden aus bestimmten Teilen des Gesichtsfeldes nicht mehr an die korrespondierenden Gehirnareale weitergeleitet werden können. Bei Normalsichtigen tritt Filling-In im Bereich des Blinden Flecks auf, der Region auf der Netzhaut, die aufgrund des Sehnervaustritts hier keine Photorezeptoren aufweist. Zahlreiche Studien haben sich bereits mit dem Phänomen des Filling-In im Blinden Fleck befasst, sie haben jedoch alle den Nachteil, dass die Sehschärfe in dieser peripheren Netzhautregion (15 Grad entfernt vom Zentrum des schärfsten Sehens in der Makula) stark eingeschränkt ist. In dieser BaCaTeC-Kooperation möchten wir Filling-In bei einer Gruppe von jungen Patienten mit hereditären Makuladystrophien untersuchen und damit in einer Netzhautregion mit noch relativ hoher Sehschärfe. Zur Anwendung kommen psychophysische Verfahren und objektive Tests, mit deren Hilfe der Charakter der Filling-In-Prozesse beleuchtet werden soll. Ebenso wird untersucht, ob es im Bereich um das Skotom zu Verzerrungen geometrischer Muster kommt und wie einzelne Formen von Skotomen diese Erscheinungen beeinflussen. Erwartet wird ein besseres Verständnis der neuronalen Prozesse, die als Anpassung an Netzhautläsionen in Gang gesetzt werden. Diese Erkenntnisse können auch helfen, Rehabilitationsmaßnahmen für ältere Patienten zu verbessern, die an altersbedingter Makuladegeneration erkrankt sind.

Patienten mit einer juvenilen Form der Netzhautdystrophie berichten oft, dass sie selber ihren zentralen Gesichtsfeldausfall nicht bewusst wahrnehmen, was auf einen Ergänzungseffekt (filling-in) hindeutet. Mit der Methode der funktionellen MRT untersuchten wir, ob sich bei Patienten mit einer beidäugigen Makuladegeneration neuronale Korrelate dieses Ergänzungseffekts nachweisen lassen. Ergebnisse von fünf Patienten (Morbus Stargardt oder Zapfen-Stäbchen-Dystrophie; Durchschnittsalter 45 Jahre, Skotomdurchmesser zwischen 10 und 20 Grad) wurden mit denen von fünf Kontrollprobanden verglichen. Das individuelle Fixationsverhalten und Gesichtsfeld wurden mittels Mikroperimetrie (Nidek) erfasst. Die (f)MRT-Messungen erfolgten an einem 3-Tesla Scanner (Allegra, Siemens). Während der fMRT-Messung wurden große (30 Grad) kontraststarke, vertikal ausgerichtete Sinusgitter (1 Periode/Grad) präsentiert. Die Gitterreize füllten entweder den gesamten Bildschirm aus, oder sie wurden in der Mitte von einer grauen kreisförmigen Scheibe abgedeckt. Der Umfang der Scheibe war etwas größer (75 % der Zeit erkennbar seitens der Probanden) oder kleiner (25 % erkennbar) als der zentrale Gesichtsfeldausfall. Um die Aufmerksamkeit der Versuchsteilnehmer zu überwachen, wurde ein peripher dargebotenes Blickziel betrachtet. Die fMRT-Daten wurden anhand des allgemeinen linearen Modells (SPM8) analysiert. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass das fMRT-Signal im fovealen Projektionsbereich des visuellen Kortex bei der Bedingung mit der kleinen Scheibe (d.h. bei filling-in) größer war als bei der Bedingung mit der großen Scheibe (kein filling-in). Diese Effekte waren bei der Kontrollgruppe nicht vorhanden. Unsere Ergebnisse deuten auf einen neuronalen Mechanismus der Bildergänzung bei Patienten mit zentralen Gesichtsfeldausfällen hin.

Literatur
Greenlee MW, Anstis S., Rosengarth K, Goldhacker M, Brandl-Ruhle S, Plank T. Neural correlates of perceptual filling-in: fMRI evidence in the foveal projection zone of patients with central scotoma. Abstract of paper to be presented at Annual Meeting of the Vision Sciences Society (VSS), May 11 – 16, 2012 in Naples, FL, USA.

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